Aktuelle Ausstellung bis 28. November 2025
In der Einzelausstellung God — Only she can give Absolution hinterfragt Anouk Lamm Anouk die Vorstellung, der Mensch sei allen anderen Lebensformen überlegen und damit berechtigt, diese auszunutzen. Die radikale und eindringliche Bildsprache verknüpft die Utopie einer Gesellschaft, frei von Ausbeutung, Hierarchien und Diskriminierung, mit unserem kulturellen Gedächtnis.
God — Only she can give Absolution entfaltet sich über drei Räume, die als bewusst ent-patriarchalisierte Zonen gedacht sind – durchzogen von queerer Spiritualität, radikalem Antispeziesismus und einer intersektionalen Ökologie der Fürsorge. Die Ausstellung vereint großformatige Installationen und Gemäldeserien zu einer vielstimmigen Landschaft, in der das Göttliche als horizontale, beziehungsorientierte Kraft zurückerobert wird.
Im Zentrum steht eine subversive Frage: Wie sähe eine Welt aus, in der Absolution nicht von oben kommt, sondern in der kollektiven Praxis der Fürsorge entsteht – zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Archiven, Mythen und Klängen? Was bedeutet Göttlichkeit, wenn sie queere, ökologische und antikoloniale Perspektiven miteinander verschränkt?
Anouk Lamm Anouk entwirft in dieser Einzelausstellung eine post-anthropozentrische Kosmologie: ein Möglichkeitsraum, in dem Reproduktion nicht die Voraussetzung für Fürsorge ist, und in dem Freiheit nur gemeinsam erreicht werden kann – über Arten- und Körpergrenzen hinweg.
Raum I: MOTHER N°1
Neun aus Silikon geformte Ferkel liegen in sterilen Neugeborenenbetten – wie in einer menschlichen Entbindungsstation. Die Szene erinnert an ein Säuglingszimmer, doch schnell wird klar: dies ist keine Darstellung menschlicher Geburt, sondern eine präzise Kritik an Spezieshierarchien und der Instrumentalisierung von Leben.
Die Ferkel sind keine Symbole, sondern empfindungsfähige Wesen – dargestellt als fragile, abhängige Leben, deren einziges „Vergehen“ darin besteht, der „falschen“ Spezies anzugehören. Obwohl Schweine 95 % ihres Erbguts mit Menschen teilen, wird ihnen in industriellen Systemen selten mehr als ein paar Monate Lebenszeit zugestanden. Diese Installation fordert uns auf, die Gewalt dieser Ungleichheit nicht durch Schock, sondern durch Zärtlichkeit zu erkennen.
Die Installation verweigert jede symbolische Lesbarkeit und macht deutlich: diese Körper sind keine Metaphern. Sie sind verletzliche, fühlende Existenzen, deren bloßes „Anderssein“ im dominanten anthropozentrischen System zu radikaler Abwertung führt. MOTHER N°1 ruft zur Anerkennung einer geteilten Verwundbarkeit auf – nicht als Ausdruck von Trauer über „verlorene Mütter“, sondern als Aufruf zu einer post-patriarchalen Ethik, in der Fürsorge als frei gewählte, solidarische Handlung die Grundlage gemeinsamer Freiheit bildet.
Der Raum richtet sich gegen die Logik der Reproduktion als Ressource – ob tierisch oder menschlich – und stellt eine andere Logik zur Diskussion: Zärtlichkeit als Widerstand. Gleichwertigkeit als Praxis. Fürsorge ohne Besitz.
Raum II: Katzenzungen & Tempelwächterinnen
Der zweite Raum gleitet in den Mythos, in eine surreale, symbolische Umgebung, die von Gegensätzen geprägt ist: Weichheit und Stärke, Sinnlichkeit und Wachsamkeit. Silikonskulpturen feliner Zungen – langgezogen, strukturiert und an den Wänden montiert – dominieren den Raum. Diese Zungen operieren auf mehreren Ebenen: Sie stehen für Fürsorge (das Lecken von Neugeborenen), für Erotik (die Zunge als Ort des Begehrens) und für Stimme (als Instrument von Protest und Kommunikation).
Im alten Ägypten waren Katzen göttlich; im mittelalterlichen Westen wurden sie als Gefährtinnen von Hexen gejagt. Immer waren sie weiblich. Immer entzogen sie sich der Kontrolle.
Dieser Raum beansprucht die Katze als spirituelle Figur zurück – nicht niedlich, nicht gezähmt, sondern souverän. Jede Zunge ist ein Relikt weiblicher* Macht. Sie sprechen nicht in menschlicher Sprache, doch ihre Botschaft ist klar.
Den Raum bewachen die Lammlöwen oder Löwemlämmer – skulpturale Wesen aus weißen Bettdecken und gebundenem Seil. Hybriden: Jäger und Gejagte, Raubtier und Beute, Stärke und Sanftheit, Löwe und Lamm in einem Körper vereint. Drohung und Einladung. Sie wachen nicht durch Aggression, sondern durch Präsenz. Sie beherrschen das Heilige nicht – sie schützen seine Möglichkeit.
Der Tempel ist hier keine Kirche. Er ist der Körper, die Fürsorge, das queere Archiv, ein Nicht-Raum in uns selbst der sich in Folge als physischer Raum, als neuer Tempel verstofflicht. Er wird bewacht von jenen, die wissen, was es heißt, gejagt zu werden.
Und so klingt der Titel erneut an: Gott ist nicht der, der Anbetung fordert. Sie ist die, die dich in der Nacht bewacht. Und wenn sie Absolution erteilt, dann nicht für Sünde – sondern dafür, dass du überlebt hast.
„God — Only she can give Absolution“ zu sagen, bedeutet nicht nur, eine geschlechtsspezifische Sprache umzukehren. Es bedeutet, zu einer lange verschütteten Wahrheit zurückzukehren: dass das Göttliche immer mit weiblicher Stimme gesprochen hat. Jahrtausendelang wurde das Heilige überwiegend als männlich imaginiert – Gott als Herrscher, Vater, Richter, König. Seine Symbole sind vertikal: der Berg, der Thron, das Schwert, das Gesetz. Seine Macht ist transzendent, seine Stimme absolut.
Doch es gibt eine andere Art von Heiligkeit. Sie befiehlt nicht von oben, sondern umgibt. Sie erobert nicht, sondern hält. Sie trennt nicht das Reine vom Unreinen – sie führt alles zurück in die Ganzheit.
Das is Sie, God is she.
Raum III: Lesbian Jazz
Im kleinsten Raum löst sich die Sprache in Intuition auf. Hier übernimmt die Malerei. Lesbian Jazz ist eine Serie von Werken, die in Improvisation entstanden sind – ohne Vorzeichnungen, ohne Studien. Jeder Pinselstrich ist endgültig. Jede Linie eine Entscheidung im Moment.
Die Werke verschmelzen Abstraktion und Figuration, durchsetzt mit handgeschriebenen, weißen Phrasen: lesbian jazz, eternal spot, much needed space.
Dies ist keine Identität als Symbol. Es ist Identität als Klang. Jazz, wie Queerness, widersetzt sich Festschreibung. Er dehnt die Zeit. Er schreibt Harmonie neu. Er hört zu, bevor er antwortet. Diese Gemälde geben dem Unterrepräsentierten, dem Abgewiesenen, dem Ungesehenen eine Form. Es gibt hier kein Manifest – nur Rhythmus.
Die Werke rechtfertigen ihre Queerness nicht. Sie leben in ihr. Sie öffnen auf der Leinwand den Raum, den die Welt noch immer zu oft verweigert.
Auch hier taucht die Idee der Absolution wieder auf – doch sie hat sich gewandelt. In Lesbian Jazz wird Absolution nicht gewährt – sie wird genommen. Nicht von einem Gott, sondern von einer Gesellschaft, die queeren Leben lange Freude, Komplexität und Anerkennung verwehrt hat. Die Vergebung gilt dem Schweigen, das lesbischen Körpern auferlegt wurde. Der Segen liegt in der Weigerung, länger still zu sein.
Über alle drei Räume hinweg entwirft God — Only she can give Absolution eine Vision des Heiligen jenseits von Herrschaft. Absolution ist hier kein Akt der Vergebung, sondern eine Anerkennung von Existenz – für alle Wesen, die überlebt haben, sich widersetzen und füreinander sorgen. Die Ausstellung holt das Göttliche zurück – nicht als patriarchale Autorität, sondern als fluide Kraft aus Zärtlichkeit, Zorn und Fürsorge.
Sie ist nicht Mutter, Königin oder Richterin.
Sie ist Präsenz, Blick, Erinnerung, Beziehung.
Und nur sie – weil sie nicht herrscht, sondern verbindet – kann Absolution erteilen.
„Only she can give Absolution“ zu sagen bedeutet, die spirituelle Autorität dorthin zurückzulenken, wo sie nie verortet wurde – zu jenen, die niemals gefragt wurden, im Namen Gottes zu sprechen, weil sie von Anfang an selbst Gott waren.
Indem Anouk Lamm Anouk das göttlich Weibliche zurückfordert, bietet sie keinen Trost an. Sie fordert eine Auseinandersetzung. Sie erklärt, dass das Heilige immer außerhalb jener Institutionen existiert hat, die Vorgaben, es definieren zu können. Dass die Fähigkeit zu vergeben, zu schützen, zu verwandeln – nie über uns stand.
Sie stand neben uns.
Sie war in uns.
Sie war sie.
Das Feminine in dieser Ausstellung ist nicht an ein Geschlecht gebunden. Es ist ein Prinzip, eine Präsenz, eine heilige Architektur. Es lebt in der Symmetrie der Wiege. Im Schweigen des Tempels. In den Wächter*innen, die ohne Drohung beschützen. Im Rhythmus des ungeskripteten Pinselstrichs.
Sie ist die Göttin der Schwellen – diejenige, die sieht, die wartet, die weiß.
Sie donnert nicht. Sie resoniert.
Sie straft nicht. Sie empfängt.
Wenn Anouk Lamm Anouk ihre Ausstellung God — Only she can give Absolution nennt, bietet sie keine Umkehrung an – sondern eine Wiederherstellung. Sie erinnert daran, dass das Feminine immer schon göttlich war: in alten Mondkulten, in den Tempeln Ägyptens, im Schweigen der Mystik, in jedem Moment der Stille, der sich wie Heimkehr anfühlt.
Sie ist nicht die Alternative zum männlichen Gott.
Sie ist die Quelle, die falsch benannt wurde.
In dieser Ausstellung wird das Feminine nicht erklärt.
Es wird offenbart.
Und was es anbietet, ist keine Erlaubnis, keine Korrektur – sondern etwas ungleich Größeres:
Absolution ohne Bedingung.
Ganzheit ohne Scham.
Eine Heiligkeit, die nicht verdient werden muss.
Weil sie immer schon da war.
Denn Gott ist Sie.
Und Sie erinnert sich an das, was wir vergessen haben:
Dass alles in Liebe beginnt.
Und dass alles dazugehört.
Ausstellungstext: by Studio Anouk Lamm Anouk
Galerie Gisela Clement