Harmonic Enterprise

Keti Kapanadze

Im Projektraum Keti Kapanadze 1. Februar–14. März 2019

Tischplatten hängen an den Wänden, ein skurriler Hampelmann schwebt im Raum und glänzende Metallbuchstaben kommentieren das Geschehen – das facettenreiche Werk von Keti Kapanadze (geb. 1962 in Tiflis, Georgien, lebt und arbeitet in Bonn), das im patriarchalischen Georgien zur Zeit der Sowjetunion zu entstehen begann, reicht von konzeptuellen Zeichnungen und Skulpturen über Fotografie und Video bis hin zu großformatigen Wand- und Rauminstallationen. In ihrem Œuvre setzt sich die georgische Konzeptkünstlerin immer wieder mit der eigenen Identität und ihrer Rolle als Frau und Künstlerin auseinander. Dabei nutzt sie häufig alltägliche Gegenstände oder Phänomene und überführt diese in kritischer Analyse in neue Kontexte. (Helen Wobbe)

Text Dr. Susanne Kleine

Keti Kapanadze

 

Die (Neu-) Ordnung der Dinge

 

Trotz des Titelzitates wäre es vermessen, Foucaults Archäologie der Humanwissenschaften von 1966 mit seiner Beschreibung der komplexen Anordnung von Sichtlinien, Verborgenem und Sichtbarem in seiner Komplexität zu Rate zu ziehen. Aber ich möchte den Titel ‚entleihen‘ als eine Beschreibung für das künstlerische Vorgehen von Keti Kapanadze, denn ihre konzeptuellen, visuellen Untersuchungen spiegeln sich in einigen von Foucaults Sprachuntersuchungen, der Entwicklung einer „ ‚allgemeine Grammatik‘ [bei der] Wörter und Sätze die Dinge exakt ‚repräsentieren‘ [und] eine sprachliche Ordnung soll den Weltdingen klare Merkmale zuordnen.“

 

Die Untersuchung von Sprache(n) in Wort und Bild kennzeichnet Kapanadzes Werk von Beginn an. Ihre ersten konzeptuellen Werke in den 1980er-Jahren spiegeln bis heute ihren künstlerischen Antrieb, Sprachen jeglichen Ausdrucks zu analysieren, auseinanderzunehmen und neu zu ordnen, bzw. neu und vielleicht ungewohnt zusammenzufügen – im Sinne eines allgemeingültigen, verbindenden, kollektiven Verständnisses. Die Wort-Sprache als zentrales Instrument unserer weltweiten Kommunikation, der zwischenmenschlichen Verständigung, ist ein Ausdruck von Reflexion sowie ein Schlüssel zum Welt- und Selbstverständnis und dennoch unterscheidet sie sich zwangsläufig durch die verschiedenen (Sprach-)Kulturen, schafft Grenzen/Ausgrenzungen. Die Bild- Sprache, ebenfalls Ausdruck von Reflexion, unterscheidet sich auch durch kulturelle Zugehörigkeiten, hat dennoch ein größeres generelles Spektrum und kann über Grenzen hinweg verständlich und auch verbindend sein.

 

Es ist nicht verwunderlich, dass sich Kapanadze in der politischen Situation Georgiens der 1980-er und 1990-er Jahre – einem sozialistischen, sowjetpatriotischen Realismus, von parallelen Unabhängigkeitsbestrebungen bröckelnd – mit Formen einer grenzüberwindenden, freien Kommunikation beschäftigt, verschiedene Wort-/Bild- Systeme untersucht und Neues entstehen lässt. In Abgrenzung zur tolerierten, bzw. ideologisch geprägten offiziellen Kunst des eurasischen Staates, unterziehen Künstlerinnen und Künstler dieser Jahre selbstreflexiv die politische, soziologische und kulturelle Gegenwart Georgiens einer kritischen Analyse und prägen Ausdrucksformen, die sich abgrenzen und innovativ sind. Die Strategie der Analyse ist bis heute eine Grundvoraussetzung für Keti Kapanadzes künstlerische, konzeptuelle Arbeit. Und eine große mediale Vielfalt und ein immer suchender Gestaltungswille prägen ihr umfangreiches Werk.

 

Anfänglich wendet sie sich neben grafischen Arbeiten der Fotografie zu, die im Gegensatz zur akzeptierten Malerei eine neue Aktualität und Relevanz erlebte, wurde sie doch auch als Instrument der politischen Selbstinszenierung ‚entdeckt‘, war aber dennoch ein eher ‚unauffälliges‘ Instrument der damaligen Kunstszene.

 

Und sie ist für die Künstlerin ein konzeptuelles Mittel das Prinzip von Darstellung, von Selbstinszenierung und -wahrnehmung zu untersuchen und die Collage, Montage und Manipulation als Mittel zum Ausdruck einzusetzen. Bald kommen auch Performances, Video, Skulpturen, Installationen, Zeichnungen, Collagen und Malerei dazu. Alles verbindend ist ihre Leidenschaft, ihr Antrieb, mittels Dekonstruktion und Neuordnung Werke zu schaffen, die im Sinne einer Sichtbarmachung Achtsamkeit einfordern und auch darauf hinweisen, dass grundsätzliche Hinterfragungen uns alle betreffen und berühren. Und in ihrem Willen grenzübergreifend, im weitesten Sinne des Wortes, zu arbeiten, hinter die Dinge zu schauen, sie – ihre Sprache, ihre Kontexte, ihre Regeln – zu ‚entlarven‘, führt sie von Beginn an dazu, Vorgefundenes, Ready-mades, zu nutzen – wie auch Sprache, Wörter, Sätze, die sie nutzt im Sinne vorhandener, einzelner Elemente und Zeichen. Die neue Form oder Bild-/Wortsprache entsteht meist intuitiv und steht dabei konzeptuell im Vordergrund. Auffällig ist dabei sicher, dass Kapanadze schon mit ersten Arbeiten die englische Sprache und Schrift verwendet und nicht das georgische Alphabet, was man vielleicht erwarten könnte, denkt man über eine Erreichbarkeit im Umfeld nach.2 Allerdings – und das ist eine weitere ihrer künstlerischen Handschriften – löst sie sich damit eindeutig von der Schönheit und den Emotionen, die mit der Sprache der Heimat verbunden sind, denn diese andere – eine Weltsprache – ist unbelastet, neutral, objektiv und frei von ‚Ismen‘ oder Doktrinen der Zeit. Und auch die langjährige vornehmliche Schwarz-Weiß Ästhetik ist kennzeichnend für die Objektivität und eine allgemeine, alle Identitäten – Menschen und Kulturen – umspannende Verständlichkeit, die sie anstrebt.

 

Mit ihren Arbeiten – die durch Dekonstruktion und Konstruktion als collagierte Synthese von Ready- mades und Eigenem entstehen –, bietet sie auch ein (Ab-)Bild unserer Gesellschaft(en). Die Themen kommen zunächst aus ihrer engeren Umgebung und Gegenstände und Geschichten aus ihrem sie umgebenden Alltag und ihrer Heimat – übersetzt in eine eigene, wachsende, neue und vor allem neutrale Bildsprache. Keti Kapanadze hinterfragt bis heute Werte und beschäftigt sich philosophisch mit dem Ursprung der Dinge; sie setzt sich intensiv mit ihrer Rolle als Künstlerin auseinander und stellt generell die Frage nach der Rolle und vor allem nach Darstellung der Frau. Sozialisiert in einem Georgien als Teil der Sowjetunion (bis 1991), galt es, gegen eine manifestierte patriarchalische Einstellung, in der sich das Individuum dem Kollektiv zu unterwerfen hat und in der eine Frau in der Hierarchie ganz unten stand, mit ihren Mitteln als Künstlerin durch Sichtbarmachung eine alternative Sicht auf die Dinge zu entwerfen. Ihr Mut, sich als eine der ersten Konzeptkünstlerinnen Georgiens damit zu befassen, trägt bis heute Früchte, von denen die nachfolgenden Generationen lernen können.

 

Ihre Bildsprache ändert sich, als sie im Jahr 2000, nach fast 20 Jahren künstlerischer Tätigkeit in Georgien (unter wechselnden politischen Führungen), nach Deutschland geht, um in einem kulturell spannenderen Umfeld wirken zu können. Ihr Kosmos erweitert sich und neue Themen, Medien, Farbe, aber auch Humor ziehen in ihr Werk ein.

 

Kapanadze geht es weiterhin um die Diversität von Informationsträgern/Sprachen, die Untersuchung von verschiedenen Bild- und Wortsystemen, von Formen und die Frage, was unsere Wahrnehmung prägt, aber sie findet nun neue Inspirationen und Quellen. Geprägt von ihrem Wunsch, fest gefahrenen, vorgegebenen Dingen, allgemeinen Codes gegenüber kritisch zu sein, sie zu analysieren und reflektieren, liegt es der Künstlerin nahe, verschiedene Welten und Systeme miteinander in Bezug zu bringen, Ordnungsprinzipien zu hinterfragen und neue aufzustellen – feste Systeme werden aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst und durch neu konstruierte ergänzt. Max Ernst schrieb 1962 zur Technik der Collage, die auch auf Kapanadze übertragen werden könnte: „[sie] ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“

 

Auf der Suche nach einer allgemein verständlichen Sprache im uns umspannenden Mikro- und Makrokosmos, nach einem globalen Zeichen-/Sprachsystem, interessiert sie sich verstärkt für Philosophie und auch für die theoretische Physik, die ihr hilft, (gewohnte) Zusammenhänge zu entschlüsseln, sie sichtbar zu machen und neu zu ordnen. „Die Disziplin der Physik in ihrer heutigen Gestalt hat ihre Ursprünge in der Philosophie, die sich seit der Antike im weitesten Sinne mit den Gründen und Ursachen aller Dinge befasst.“4 Und die „theoretische Physik ist ein Zweig der Physik, der mathematische Modelle und Abstraktionen von physischen Objekten und Systemen verwendet, um Naturphänomene zu rationalisieren, zu erklären und vorherzusagen.“5 Diese Definitionen helfen zu lesen, was sich im Galerieraum auf zwei Wänden präsentiert: Dekonstruierte Blumentische der 1950er-Jahre – already made – bilden als wandfüllende Reliefs mit dem Serientitel Betwixt (dazwischen) jeweils ein molekulares, kristallines System/Gebilde, welche an Wurzelgeflechte erinnern und „die Blueprints chemischer Reaktionen im menschlichen Gehirn ähneln“6. Auch hier ist ein Verweis auf die Philosophie notwendig, wird das Rhizom dort doch als „Metapher für ein postmodernes beziehungsweise poststrukturalistisches Modell der Wissensorganisation und Weltbeschreibung“7 und als Ordnungsmodell genutzt. In der Naturwissenschaft wird bei der Entwicklung eines ‚Modells‘ grundsätzlich die Wirklichkeit idealisiert, man konzentriert sich zunächst auf ein vereinfachtes (Ab-)Bild, um alle Aspekte zu überblicken und zu untersuchen. Nachdem das Grundmodell steht, wird es weiter verallgemeinert und schematisiert. So könnte auch die Herangehensweise von Keti Kapanadze hier beschrieben werden: Die einzelnen Formen und Elemente der Tische werden dekonstruiert, herausgelöst, aus dem Kontext genommen, um als rein formal-ästhetisches Zeichen in einen neuen Bildzusammenhang gebracht zu werden. Wichtig zu betonen ist, dass die klaren Begrenzungen der einzelnen Formen als einzelne Zeichen, Codes beibehalten werden und ‚nur‘ der aufgelöste Kontext ein neues – assoziativ scheinbar grenzenlos wucherndes – Werk entstehen lässt.

 

Dreidimensionalität wird zugunsten der zweidimensionalen Ebene aufgegeben – und damit der ursprünglichen Funktion beraubt – und die Komposition spiegelt ein Netzwerk an Verbindungen und Deutungsmöglichkeiten. Eine künstlerische Geste, die auch mit einem Augenzwinkern ein ernsthaftes Anliegen scheinbar einfach ausdrückt: Der Nierentisch und auch der Blumentisch (oder die Blumenétagère) der 1950er-Jahre spiegelt den Wunsch nach Leichtigkeit und Verspieltheit in einer Zeit, die durch den Wiederaufbau und die Hoffnung auf ein besseres Leben geprägt wurde. Gleichzeitig ist er auch ein Sinnbild für die ‚gute‘ Hausfrau, die das Heim schön und wohnlich einrichtet. So wird die Dekonstruktion dieser Objekte (und damit der ursprünglichen Metapher) und die intuitive Transformation ein Beitrag zur immer noch notwendigen Genderdiskussion. Die beiden Reliefs unterscheiden sich nicht nur formal voneinander, sondern auch in der Farbwahl: Jedem Thema, bzw. jeder Emotion, die visuell verhandelt wird, liegt eine Farbgruppe zugrunde, die der jeweiligen Aussage entspricht, so ist die ‚Liebe‘ bunt und groß, während die ‚Angst‘ schwarz-weiß und klein ist – emotionale Zustände, die individuell ausgedrückt und allgemein gültig sind und nicht einer bestimmten ‚Gruppe‘ zugeordnet werden können.

 

Ergänzt wird diese Werkgruppe von neutralen, live-size Figuren, 'Gliederpuppen', die Stellvertreter für den individuellen (mit an Gelenkpunkten mit Scharnieren ausgestatteten und dadurch flexiblen) Menschen sind, der je nach Kontext geformt wird oder werden kann oder der sich selbst ‚justiert‘, anpasst, verändert.

 

Als weiteres Element der collagierten Gesamtinstallation erscheint unten auf einer Wand ein im Material grafisch ‚cleaner‘ Text We are only voices of our other selfs, forever lost in a jam millions of sells mit formaler Konturierung und dennoch irritierender Unruhe, da die Buchstaben/Worte teilweise erst auf den zweiten Blick lesbar sind – hier haben sich die „Buchstaben gemütlich angepasst“, so die Künstlerin. Die kleine Arbeit Unstable, die pfeilartig ihren Platz auf der Wand behauptet und damit eine Verstärkung der inhaltlichen Aussage bildet, ergänzt die Installation. Versalien als Stilmittel einer ‚Behauptung‘ in beiden Texten unterstreichen formal die für uns alle vielleicht zutreffende Spiegelung von Gedanken. Form und Inhalt in beiden Textarbeiten gehen eine enge Verbindung ein und die Verwendung von glänzendem Metall (poliertem Nickel) steht im Gegensatz zum weich anmutenden Holz der Reliefs. Das eindeutige verbindende Element ist Kapanadzes künstlerisches Verständnis von Sprache als Ready-made.

 

Eine weitere Untersuchung findet im kurzen, 3-minütigen Video In a pocket‘s wrinkle statt, dessen Übersetzung auf die Darstellung im Raum verweist: Als kleine Ergänzung, nebensächlich, scheinbar unwichtig, sieht man Beine von Pferden beim Dressurreiten. Das Dressurreiten ist Abbild eines Wertesystem, einer eindeutigen Hierarchie in einer weit entwickelten Gesellschaft. Und die Abrichtung von Pferden ist ein Sinnbild für die ‚Abrichtung‘ und Konformität von Individuen und Gesellschaften in bestimmten, nicht freien, politischen Systemen – hier ist ein eindeutiger Verweis auf Keti Kapanadzes eigene Biografie und ein Appell für Freiheit.

 

Die (Neu-)Ordnung der Dinge, eine von Kapanadzes elementaren künstlerischen Strategien wird am deutlichsten in der bisher 18-teiligen Fotoserie Harmonic Enterprise, von denen eine Arbeit die gesamte Installation abrundet. Das ‚harmonisches Unternehmen‘ zeigt in klarer Schwarz-Weiß Ästhetik eine Ansammlung von Stühlen, bühnenartig vor geschlossenen Gardinen in einer georgischen Wohnung fotografiert. Die Künstlerin bittet seit 2016 Freunde in einem ihrer Wohnräume eine intuitiv konzeptuelle, neue Ordnung vornehmen zu dürfen und innerhalb von 8 Minuten (solang benötigt ein Sonnenstrahl bis zur Erde) das Arrangement zu formulieren und zu fotografieren. Manchmal entstehen nur kleine, kaum wahrnehmbare Eingriffe, manchmal direkt erkennbare, aber irritierende – wie bei dieser Aufnahme. Irgendetwas/irgendjemand hat das vertraute Bild ‚gestört‘, die gewohnte Sehweise ad absurdum geführt und schon ist eine eindeutige Lesbarkeit von (Bild-)Sprache konterkariert. Unsere Aufmerksamkeit wird durch diese irritierende ‚Versuchsanordnung‘ geschult, die ‚Entlarvung‘ von Seh- und Denkgewohnheiten vor Augen geführt und die Erkenntnis visualisiert, dass Dinge, Ready-mades, – aus dem gewohnten Kontext genommen oder neu geordnet – eine neue Reflexion (still) einfordern.

 

Keti Kapanadze untersucht von Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit an Sprache(n) und Systeme in Wort und Bild, sie lotet in all ihren Arbeiten die Möglichkeiten von Dekonstruktion, (humorvoller) Entlarvung, Neuanordnung und Sichtbarmachung aus – dies passiert in analytischer, konzeptueller, emotionaler und poetischer Art und Weise. Der Mikro- und Makrokosmos der menschlichen Existenz und ihrer Kommunikationsformen wird durchleuchtet und collagiert in neue, erkenntnisgewinnende Zusammenhänge gestellt.

 

Susanne Kleine, 31. Januar 2019

Galerie Gisela Clement