The World We Live In

Matthew Northridge

Im Projektraum Matthew Northridge 16. April–30. Mai 2020

Seit 2006 entstehen die Collagen des amerikanischen Künstlers Matthew Northridge, in denen stark idealisierte Fotografien von Natur als Hintergrund für abstrakte Formengebilde dienen. Bereits zum dritten Mal zeigen wir die Collagen in der Galerie – erstmals jedoch in einer Einzelausstellung.

 

„The World We Live In“ ist eine unlimitierte Serie, die sich immer wieder neu aus dem Konvolut an gefundenen Papierresten und ausgetrennten Seiten mit Landschaftsfotografien des Künstlers erfindet. Titelgebend ist eine Wissenschaftsreihe des amerikanischen LIFE Magazins aus den 1950er-Jahre, die den damaligen Lesern mit einer Mischung aus fotografischen und künstlerischen Abbildungen alles rund um unsere Erde, vom Weltraum, über Dinosaurier bis in die Tiefen des Meeres, erklärte.

 

Auch in den Collagen von Matthew Northridge bleibt ein wesentliches Moment dieser Zeitschriftenreihe aus den 1950er-Jahren erhalten: künstlicher und scheinbar realer Lebensraum gehen eine inspirierende Symbiose ein.

Interview

The World We Live In
Matthew Northridge

 

Deine Serie "The World We Live In" ist seit 2006 eine Konstante in deinem Werk. In deiner bildhauerischen Arbeit beziehst du oft nationale Symbole, Flaggen, Landkarten oder andere Objekte ein, die einen Bezug zur Geographie haben. Wie reagieren deine Collagen vielleicht auf deine Skulpturen?

 

Im Großen und Ganzen beschäftigen sich die Collagen mit einem anderen Element der Geographie, obwohl sie durch einen anderen Prozess entstehen als meine dreidimensionale Arbeit. Mit der Skulptur kann ich aufzeichnen, was in Bezug auf die Produktion, die Materialien und die Zeit involviert ist. Sie sind kontrollierter. Der Fortschritt vollzieht sich über einen längeren Zeitraum. Die Collagen entstehen auf viel schnellere und geheimnisvollere Weise (oder auch nicht). Sie haben all das Risiko und die Unordnung, ein vollständiges Bild aus dem Nichts aufzubauen.

 

Die Serie ist nach einer Reihe von Sonderausgaben benannt, die in den 1950er Jahren vom LIFE-Magazin veröffentlicht wurden und alles über den Planeten Erde abdeckte. In der Zeitschrift wurden die verschiedenen Artikel mit Fotografien und Zeichnungen von Künstlern illustriert, die ein Bild der Natur irgendwo zwischen Realität und Fiktion schufen. Wie beziehst du dich in deinen Collagen auf diese Serie?

 

"The World We Live In" ist nicht nur der Namensvetter, sondern gehörte zu meinen früheren Quellen für Landschaftsaufnahmen. Ich schätzte es, dass der Titel so selbstbewusst zu weit ging, ganz in der Mode des amerikanischen Optimismus der 1950er Jahre. "The World We Live In" hat nie wirklich existiert. Es war ein Konzept, das als konkrete Realität dargestellt wurde, aber tatsächlich war es zum Teil wahr, zum Teil das, was man sich wünschte, wahr zu sein. Sein universeller, allumfassender Titel ist auch seine wunderbar gescheiterte Mission. Indem ich den Titel übernommen habe, habe ich die gleiche Dynamik in meiner Arbeit erkannt.

 

Deine Collagen bringen zwei verschiedene Ebenen zusammen: Naturaufnahmen dienen als Hintergrund für abstrakte Formen. Wie reagieren sie im Entstehungsprozess aufeinander?

 

Es gibt zwei verschiedene Elemente: die Landschaft, die durch ein bereits existierendes Foto dargestellt wird, und eine Konstruktion, die aus gefundenem Material zusammengesetzt wird. Die Konstruktion nimmt sowohl die Oberfläche des Fotos als auch den unmittelbaren Vordergrund im Bildraum ein. Im Laufe der Entwicklung der Serie hat die Konstruktion die Ränder der Komposition verschoben, verdrängt den wenigen Blick, den wir auf die Landschaft haben, und fordert unsere Fähigkeit heraus, sie zu lesen.

 

"The World We Live In" schafft eher neue Orte, als Hinweise auf den Ort im Hintergrund zu geben. Welche Art von Welt stellen die Collagen dar?

 

Die Welt, die ich darstelle, ist nicht durch einen Ort definiert, weder durch einen tatsächlichen noch durch einen imaginären. Ein spezifischer Ort muss vom Betrachter intuitiv wahrgenommen werden. Mich interessiert vor allem das Wechselspiel zwischen dem natürlichen und dem vom Menschen geschaffenen, dem realen und dem gegenständlichen Raum.

 

Als wir die neuen Collagen für die Ausstellung erhielten, fiel uns als erstes ein leichter Unterschied zu den Collagen auf, die wir 2014 ausgestellt hatten. Die neuen Collagen wirken farblich etwas heller und die Formen im Vordergrund präsenter. Sie sind nicht mehr so spielerisch in den Hintergrund integriert wie früher, was sie unabhängiger macht. Ist das nur eine sehr persönliche Interpretation von uns, oder hast du diese Veränderung aus deiner Umgebung übernommen?

 

Die Entwicklung verläuft eher graduell. Die Serie begann eigentlich vor vielen Jahren als eine Art Katalogisierung von Quellenmaterial und wurde mehr gesammelt als zusammengestellt. Im Laufe der Zeit begangen die Bemühungen, sich voll in den Bildraum "einzukaufen" und darin etwas aufzubauen. Diese ersten Bemühungen waren teilweise eine Reaktion auf das Foto. Jetzt will sich die Konstruktion selbst auf die Landschaft ausrichten.

 

Wir leben im Moment offensichtlich in einer verwirrenden Welt. Der Coronavirus hat einen sehr großen Einfluss auf das persönliche Leben eines jeden Menschen, aber auch sehr stark auf das kulturelle Leben, die Institutionen und alle Beteiligten. Glaubst du, dass dies Auswirkungen auf deine Collagen haben wird, oder vielleicht tut es das bereits?

 

Meine Arbeit wird von viel weniger bedeutenden Ereignissen beeinflusst, also muss ich ja sagen. Das Ganze hat eine seltsame Doppelseitigkeit – auf der einen Seite haben wir eine obligatorische, ad hoc gewährte Künstlerresidenz (d.h. Schutz vor Ort) und auf der anderen Seite das tiefe, dunkle Unbekannte. Dieses Arrangement ist nur in seiner Schwere ungewohnt.

Galerie Gisela Clement